Meister Nangaku – die Geschichte spielt in China – sieht seinen Schüler Baso, der mit starkem Engagement Zazen praktiziert. Er sagt also zu ihm: „Was versuchst du gerade zu tun?“ Der Schüler antwortet: „Ich versuche Buddha zu werden.“ Meister Nangaku nahm daraufhin einen Dachziegel und begann ihn zu polieren. Der Schüler Baso fragte: „Aber was macht ihr da wenn ihr den Dachziegel poliert?“ Nangaku sagte: „Ich versuche einen Spiegel daraus zu machen.“ Der Schüler sagte: „Aber ihr könnt keinen Spiegel aus diesem Dachziegel machen, selbst wenn ihr ihn poliert.“ Meister Nangaku antwortet also: „Und du, glaubst du den Buddha-Zustand zu erreichen indem du Zazen praktizierst?“
Diese Geschichte ist sehr berühmt. Sie weist auf einen sehr wichtigen Aspekt der Praxis hin. Alle unsere Handlungen sind mit der Idee des Erreichens eines Ziels unterlegt. Wir handeln immer um etwas zu erhalten.
Meister Nangaku versucht seinem Schüler zu verstehen zu geben, dass die Praxis kein Mittel ist um Buddha zu werden, da wir im Innersten bereits Buddha sind. Es geht nicht darum Buddha zu werden. Es gibt kein Ziel zu erreichen. Die Praxis selbst ist das Ziel. Weil wir Buddha sind, praktizieren wir Buddha.
Weil wir das Leben sind, praktizieren wir das Leben. Wir praktizieren das Leben wie es ist. Wir enthalten uns davon unentwegt Kommentare hinzuzufügen. Wir enthalten uns davon fixiert auf einer Sache stehen zu bleiben, egal was es ist. Wir lassen das Leben frei fließen, ohne einzugreifen, ohne uns zu widersetzen.
Meister Deshimaru sagte: „Zazen zu praktizieren ist die Normalform des Geistes zu praktizieren.“
In der Welt des Zen, in der Welt der Erweckung sind Praxis und Realisation ein und dasselbe. So wie eine Form von seinem Schatten begleitet ist – der Schatten taucht im selben Moment auf wie die Form. Wenn man das Vorbeiziehenlassen praktiziert, gibt man seinem Geist die Freiheit und er bleibt auf nichts fixiert. Das ist die totale Befreiung, das ist der Normalzustand des Geistes.
Wenn man aufrecht sitzt, wenn unser Geist mit nichts beschäftigt ist, wenn unsere Atmung frei kommt und geht, wenn man nichts festzuhalten versucht, egal was es ist, wenn man vor nichts flieht, egal was es ist, wenn man alle Formen die im Geist erscheinen von alleine auftauchen und vorbeiziehen lässt, das ist der Normalzustand des Geistes, das was man Buddha-Zustand nennt. Diese Haltung verändert unser Leben tiefgehend.
Achtet auf die Haltung des Kopfes, der auf den Schultern ruhen soll, die Augenlider gesenkt aber halboffen, lockert die Spannungen in den Augäpfeln – all dies poliert die Haltung. Die Handlung des Polierens selbst ist der Spiegel. In sich selbst präsent sein, das Bewusstsein offen zu halten, ohne Verunreinigungen, ohne Grenzen, das ist er – der Spiegel.
Zu einem weiten Bewusstsein zu gelangen, das von nichts verdunkelt wird, das alles sieht, das an nichts anhaftet, egal was es ist, das ist der Normalzustand des Geistes. Keine Form haftet auf dem Spiegel an, keine Form ist fixiert, die Formen erscheinen und vergehen.
Unsere Angst, unsere Gier, unsere Wut erlaubt den Formen auf dem Spiegel zu erscheinen. Wenn wir frei von den drei Giften sind, die da sind Dummheit, Gier und Abneigung, dann gleitet alles, alles zieht für immer vorbei. Das ist der Normalzustand, der Buddha-Zustand, ohne Fabrikation von Gedanken. So wie es ist, ist es Buddha. So wie wir in unserem tiefen Innersten sind, sind wir Buddha.
Sucht also nach nichts, begnügt euch zu sein was ihr wirklich seid. Begnügt euch damit zu sitzen, vollständig zu sitzen, unter Ausschluß aller anderen Dinge.
Erhaltet dieselbe Praxis in allen Aktivitäten des Alltagslebens. Wenn ihr geht, dann begnügt euch damit vollständig nur zu Gehen. Wenn ihr esst, dann begnügt euch damit vollständig nur zu Essen, immer aufmerksam auf das was ihr tut.
Ihr schmeckt dann die reine Existenz, ohne Kommentar, ohne Dekoration, ohne Ziel – ohne Verzögerung.
Taiun JP Faure, November 2021
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