Zusammenfassung eines Interviews von Jean-Pierre Taiun Faure
für die französische Zeitschrift Sagesse Bouddhistes


Warum sind die Erweckung und die Befreiung so schwierig zu beschreiben ?

Wie etwas beschreiben, das nicht sein kann? Wenn die Erweckung sich realisiert, dringen wir in den Bereich der reinen Existenz ein, den Bereich der totalen Existenz. Wir existieren vollständig, denn wir sind nicht mehr dabei, uns beim Existieren zu betrachten – es gibt keinen Platz mehr für Reflexion. Wir wenden uns einer dynamischen Gegenwart zu, ohne Dimension, in der kein Platz ist für Analysen, Kommentare und Strategien. Diese Funktionsweisen kommen aus einer Blase des Geistigen und von chronologisch geordneten Zeitpunkten, in denen wir in der Zukunft versuchen, Situationen auf vergangene und als angenehm empfundene Situationen zurückzuführen, indem wir hierfür egoistische Strategien entwickeln.

Sich erwecken ist zur Realität, so wie sie ist zurückzukehren und in ihr aufzugehen. Man spürt dann ein ozeanisches Gefühl, das sich nicht beschreiben lässt. Wenn wir diese Realität mit Worten beschreiben, verlassen wir sie, indem wir in eine dualistische Reflexion einsteigen. Weil wir den Moment festhalten wollen, ihn besitzen wollen, ihn beibehalten wollen. Dies bedingt, dass wir den erweckten Geist verlassen.

Die Erweckung können wir nur fühlen und gleichzeitig die Ruhe fühlen, die Freude, die Dankbarkeit, die Fülle, die Nicht-Angst, … Das ist es, was wir spüren, wenn wir erweckt sind.
Die Natur befindet sich in einem unübertreffbaren Zustand wie der Vogel, der am Himmel fliegt, das Pferd, das im Regen herumhüpft, … Es gibt nichts Zufriedenstellenderes für den Menschen, als sich im Normalzustand zu befinden. Die Erweckung ist nichts anderes als der Normalzustand.

Der erweckte Zustand ist ein Geist in vollständiger Ruhe. Dieser Geist in Ruhe ist nicht bewegt und nicht eingeschlossen von Gedanken, im Gegenteil er ist offen, ohne Befleckung, ohne Limit. Mit diesem Geist in Ruhe, bewegt von den Gelübden des Bodhisattva, antworte ich mit Weisheit und Mitgefühl auf die Realität, die mir zuteil wird.

Allerdings besteht die Weisheit darin, den Geist offenzuhalten. Mitgefühl ist der Welt mit offenem Geist zu begegnen und zu antworten, angetrieben durch den Wunsch, das Gelübde, dass mein Leben wohltuend und nützlich für die Welt ist. Dieser Wunsch entstammt dem erweckten Zustand, der die Selbstverständlichkeit offenbart, allen Existenzen dienlich zu sein. Das entspricht dem Zustand im Paradies, während sie auszunutzen, sie zu bekämpfen, sie zu beneiden dem Leben in der Hölle entspricht.

Ich bin erweckt, wenn ich in jedem Augenblick den Anforderungen des Universums antworte. Jemand streckt mir die Hand aus – ich nehme seine Hand. Ich bin erweckt, wenn ich mit meinem ganzen Herzen auf die Situation, die sich mir stellt, antworte, ohne etwas für mich zu erwarten. Erweckt begegne ich jeder Situation mit einem freien Geist, frei von jeder egoistischen Versuchung, von jedem parasitären Gedanken, ich umarme die Realität und ich antworte ihr mit Weisheit und Liebe.

Man kann also sagen, dass ich mich erwecke, wenn ich zu meinem Buddhazustand zurückkehre – der von derselben Art ist wie die Realität, die mich umgibt – in Einheit mit allen Existenzen. Den erweckten Zustand aufrechtzuerhalten verlangt in jedem Augenblick wachsam zu sein, damit mein Egoismus nicht die Oberhand über meinen Buddhazustand gewinnt.
 

Was ist die Praxis der Erweckung ?

Am Ende seines Lebens hat Buddha gesagt : „Seid der Ansicht, ich hätte nichts gesagt. Setzt euch und macht wie ich die Erfahrung der Realität.“ Wir Buddhisten aller Linien wissen, dass Buddha sich im Zazen erweckt hat: Im Lotussitz sitzend, bewegungslos in der Stille, alles vorbeiziehen lassend, was in seinem Bewusstsein auftaucht – wie das schlammige Wasser klar wird, wenn man aufhört, es zu bewegen – ist sein Bewusstsein klar geworden, er hat sich der Realität geöffnet, er hat sich erweckt.

Was tun, um die Gedanken nicht mehr zu bewegen? Wir müssen realisieren, dass, bevor wir ein denkendes Wesen sind, wir ein lebendiges Wesen sind. In Zazen machen wir die Erfahrung der reinen Existenz, der totalen Aktivität von Körper und Geist. Wir holen ohne Unterlass unseren Geist in den Kontakt mit dem Körper zurück, ohne uns damit zu beschäftigen, was im Bewusstsein erscheint. Wir berühren dann ein weites Bewusstsein, ohne Grenze, gereinigt von jeder Absicht und von allen Ansichten. Diese Erfahrung, die Buddha zu seiner Zeit gemacht hat, das ist das Herz des Buddhismus. Diese Erfahrung ist für jeden unter uns in Reichweite.

In Zazen geht es nicht darum, die Gedanken zu unterdrücken, sondern um von ihnen Abstand zu halten – die am häufigsten von den drei Giften genährt werden: Gier, Hass und Unwissenheit. Man identifiziert sich nicht mehr mit den Gedanken: Eingetaucht in die Ruhe und das Licht gelangt man zu den Tiefen des Seins. Jedoch ist Zazen nichts Besonderes, es ist nur zu unserer natürlichen Funktionsweise zurückzukehren. Das Blut zirkuliert von selbst durch den Körper, wie die Signale durch die Nervenbahnen, das Leben manifestiert sich von selbst. Es ist nicht das Ich das alles entscheidet. Etwas existiert außerhalb meines Willens, ohne dass es notwendig ist, dass ich eingreife.

Zu Beginn von Zazen versenken wir uns in die korrekte Haltung, bis sich der Samadhizustand einstellt : Das Bewusstsein ist dann ohne Befleckung, ohne Grenzen, wie ein weiter Spiegel. Auf diesem Bewusstseinsspiegel reflektieren die Phänomene, sie erscheinen so wie sie sind. Es gibt folglich eine Form der Konzentration, die des Samadhi, von der ausgehend man die korrekte Art und Weise der Phänomene beobachten kann (Vipassana).

In Zazen wechseln wir ohne Unterlass von der Konzentration zur Beobachtung, um dann zur Konzentration wieder zurückzukehren, und so weiter wechselnd. Wenn wir zum Beispiel in der Beobachtung stecken bleiben, dann kommentieren wir, analysieren wir, was wir sehen. So ist es nicht die einfache Beobachtung der Phänomene so wie sie sind: Schlussendlich sehen wir das, was wir sehen wollen. Verursacht von dem ich wünsche mir und ich wünsche mir nicht, verlassen wir die einfachen Beobachtungen, um in die Fantastereien des Geistigen einzutreten.

Nicht flüchten, nicht folgen. Nicht unterdrücken, nicht weiterverfolgen: Das ist das Geheimnis des wahren Zazen, das von den Buddhas übertragen wurde, die wahrhaftige Meditation ohne Objekt. Alle Dinge erscheinen und verschwinden von selbst, wie die Wellen auf der Oberfläche der Ozeane.

Wenn unser Geist sich auf die Punkte der Haltung und der Atmung konzentriert, dann kann er nicht abschweifen, verbleibt in seiner originalen Form – weit und ohne Befleckung : Die Gebote sind in natürlicher Weise realisiert. Dieser ursprüngliche Geist wird von allen Existenzen geteilt, wir finden zurück zur Einheit mit ihnen – mein Leben und das Leben des Universums sind nicht mehr geteilt.

 

Wie behält man die Erweckung im Alltagsleben bei ?
Es gibt zwei wichtige Aspekte zu unterscheiden – welche ?


Die Praxis der Erweckung realisiert sich in Zazen, aber auch im Alltagsleben. Man behält den erweckten Geist im Alltagsleben bei, indem man den Geboten folgt. Das Licht der Gebote hilft uns, das korrekte Verhalten zu finden und gute Entscheidungen zu treffen. Gegenüber einer schwierigen Situation kann ich die Tendenz haben wütend zu werden. Aber von Anfang an sehe ich die Wut in mir aufsteigen, ich kann sie bremsen und ihr nicht folgen und mich so befreien. Im Gegenteil, wenn ich sie nicht sehe, kann ich unwissentlich von der Wut davongetragen werden und auf eine unangemessene und bedauerliche Art handeln.

Wir haben uns im Zazen angewöhnt uns nicht von den Phänomenen, die in unserem Bewusstsein aufblitzen, davontragen zu lassen. Wir können das Gleiche auch im Alltagsleben machen, indem wir die Gebote in unserem Geist präsent halten. Das ist es, was die Zenmeister sagen lässt, dass Zazen und die Gebote ein und dasselbe sind.

Im gewöhnlichen Leben, wo uns alle Arten von Situationen zufallen, treffen wir mehr oder weniger erweckte Personen. Manche wollen uns verletzen andere Streit mit uns anfangen … Zuerst geht es darum, dies an uns vorbeiziehen zu lassen und zu einem klaren Geist, ohne Grenzen zurückzukehren. Der erweckte Geist erlaubt uns, unsere unangemessene Reaktion gegenüber diesen Situationen zu sehen. Die innere Temperatur steigt und die Alarmglocken läuten und wir entscheiden uns der Erregung nicht zu folgen, sondern der Situation mit ruhigem Geist gegenüberzutreten, gewillt ihr am besten zu antworten, mit Weisheit und Mitgefühl. Das ist die Haltung des Bodhisattvas.

Von Beginn an hat uns der Buddha aufgezeigt, dass es ein ungreifbares, unerreichbares Absolutes gibt, aber dass gleichzeitig die menschliche Neigung dieses zu repräsentieren, zu bedingten Wahrheiten, zu Halbwahrheiten führt. Es gibt also das Absolute, das unserer Buddhanatur entspricht und das Ego, was die Grundlage für unsere bedingten Wahrheiten ist. Das Absolute ist immer am Werk, aber unser Alltagsleben wird meistens von unseren persönlichen Konzepten geleitet, relativ zu unseren Wahrnehmungen, unseren Begierden, unseren Interessen, unserem Karma.

Die Weisheit ist es, die Existenz dieser beiden Realitäten, absolut und bedingt, anzuerkennen, zu akzeptieren, sogar zu respektieren – aber immer das Absolute an die erste Stelle setzen.

Wie in Richtung der Erweckung voranschreiten ungeachtet davon, dass die Repräsentationen uns beschränken und uns dahin bringen mit einer emotionalen und egoistischen Haltung zu reagieren? Während Tausenden von Jahren, ja Millionen von Jahren – seit unserem ältesten Vorfahr Sahelanthropus vor ca. 7,3 Millionen Jahren – haben wir Entscheidungen basierend auf der Gier, dem Hass und der Unwissenheit getroffen. Alle diese Entscheidungen haben Spuren in unserem Geist hinterlassen karmische Samen in unserem Bewusstsein. In jedem Moment können diese Samen aktiviert werden, ausgelöst von externen Situationen.

Gewohnt alles vorbeiziehen zu lassen während Zazen: Wenn ein Impuls von Wut in meinem Bewusstsein auftaucht, dann bin ich immer prinzipiell in der Lage, ihn vorbeiziehen zu lassen und sofort zu meiner Buddhadimension zurückzukehren. Wenn ich einen vergifteten Gedanken loslassen kann, wenn ich ihn nicht weiterverfolge, wird er austrocknen und sich nicht wieder im Feld meines Bewusstseins ausbreiten.

Wenn der Geist in Ruhe ist, sehe ich die Illusionen aufsteigen und wenn ich sie vorbeiziehen lasse, praktiziere ich die unmittelbare Erweckung. Je mehr ich diese Erweckung praktiziere, umso mehr erschöpfen sich die Samen der Illusion, die mein Bewusstsein bevölkern. Man kann sehen, dass durch die Ansammlung dieser spontanen Erweckungen mein Karma weniger und weniger für mich prägend wird.

Man sagt, dass Buddha Shakyamuni in seinen vorherigen Leben dermaßen viel praktiziert hat, dass am Ende bei seiner letzten Wiedergeburt er nur noch wenige Illusionen hatte, von denen er sich dann befreit hat, um sich dann definitiv in der nicht zu übertreffenden und endgültigen Erweckung einzurichten. Durch seine Praxis in den vorherigen Leben hat er die Reinigung seines Karmas abgeschlossen. Je mehr man praktiziert, umso mehr reinigt sich unser Leben. Wenn die Praxis leichter und leichter wird, nähert sie sich dem Leben Buddhas.

Die Praxis des vorbeiziehen Lassens ist nicht immer augenblicklich und einfach. Wenn im Zazen immer wieder dieselben betrüblichen Gedanken auftauchen, muss man anhalten und schauen, ob etwas zu klären ist. Dass etwas zu klären ist, hängt häufig von fehlerhaften Konzepten ab, die in unser Gedächtnis eingegraben sind und immer noch am Werk sind – das können ungute Schlussfolgerungen sein von schlecht gelebten Situationen, die nicht verdaut worden sind.

Diese fehlerhaften Konzepte, die auf unser Bewusstsein abfärben, können uns über eine lange Zeit belasten. Selbst wenn sie nur als Hintergrundrauschen auftreten, können sie unseren Geist unzufrieden sein lassen, ihn verdunkeln, ihn nie zufrieden sein lassen, …

Es ist deshalb wichtig, unsere vergangenen Fehler zu sehen und anzuerkennen. Vergangene Fehler anzuerkennen verlangt, den Geschmack bitterer Früchte zu akzeptieren – sie mit einem ausgeglichenen Geist zu akzeptieren, ohne Wut hinzuzufügen, ohne Schuldgefühle und ohne sie zu verfluchen.


Was machen Sie für den Krieg in der Ukraine ?

Wenn ich sehe, was in der Ukraine passiert, entscheide ich mich,mich noch mehr auf dem Buddhaweg zu engagieren! Ich engagiere mich in jedem Augenblick darin, die Realität meines Lebens in den kleinsten Details zu sehen und ihr mit dem Geist des Bodhisattvas zu begegnen, dem Geist, der in dieser Situation am nützlichsten ist. Der Bodhisattva ist der, der sich zur Realität erweckt und der denen die er trifft hilft sich zu erwecken, die dann wiederum denen helfen, die sie treffen, sich zu erwecken und somit nach und nach der Menschheit helfen, sich zu befreien. Wenn ich mich erwecke, öffne ich meinen Herz-Geist, ich lade meine Schwestern und Brüder ein, dasselbe zu tun, den Illusionen entfliehen, der Gewalt zu entfliehen.

Buddha Shakyamuni hat gesagt : „Wenn ich mich erwecke, dann sind alle Existenzen mit mir erweckt.“ Die Welt ist eins. Jeder unserer Gedanken, Worte und Aktionen hallt im ganzen Universum wieder. Besser als Flüche auszustoßen, besser als sich mit dem angepasst sein zu begnügen, der Bodhisattva engagiert sich in jedem Moment mit einem vom Hass, Gier und Dummheit befreiten Geist. Die Erweckung praktizieren ist der politische Akt schlechthin. Die Interdependenz und die Vergänglichkeit sind die zwei Pfeiler der Realität Buddhas. Die Interdependenz zu praktizieren verlangt zu verstehen, dass mein Leben mit allen Leben im Universum verbunden ist, und selbst wenn ich die Wege nicht verstehe, die die Interdependenz nimmt, ich weiß, dass am Ende mein Leben auch mit der Ukraine, mit Israel und mit Palästina mitschwingt und sie berührt. Aber dies kann einige Zeit dauern …

Der Geist ist die Wurzel aller Dinge, je mehr mein Geist selbstlos ist, umso mehr bin ich vom Wunsch getrieben, mich um meinesgleichen zu kümmern, umso mehr hat mein Leben die Chance, hilfreich und wohltuend für alle Formen des Lebens in allen Ecken des Universums zu sein. Der wichtige Punkt hierbei ist es, alle Dinge mit all seinem Herzen zu tun, für die Anderen zu handeln wie eine Mutter für ihre Kinder, ohne etwas für sich zu erwarten. Wir haben immer eine Rückwirkung unserer Aktionen, manchmal in diesem Leben, manchmal in einem anderen, aber wir können das nicht immer wissen. Zusammenfassend lässt sich sagen, die Kraft und die Macht unseres Engagements hängt von der tiefen Liebe ab, die wir unseresgleichen gegenüber darbringen. Wir sollten Angst davor haben, nur für unsere eigenen Interessen zu denken, zu sprechen und zu handeln. Nur die wahre Liebe hat die Macht durch einen Gedanken, ein Wort, eine Geste, den Lauf der Dinge zu verändern. In jedem Moment ist alles zu wiederholen, nichts ist jemals erreicht. Die Weisheit ist es zu wissen, dass alles für immer vergeht, dass alles impermanent ist. In jedem Augenblick muss ich mein Herz und meinen Geist auf die Situation gerichtet öffnen und den Weg der Praxis wieder und wieder zugehen. Das ist es, was man den Ring des Weges nennt.

 

Was ist der Ring des Weges?

In jedem Moment müssen wir den Ring des Weges durchlaufen. Oft verlieren wir dabei unseren Buddhageist aus dem Blick und wir finden uns dann in den Leiden des Samsara wieder. Sich erwecken heißt, unsere Versäumnisse im Dharma zu sehen, unsere falschen Entscheidungen, die wir getroffen haben zu sehen, die Leidenschaften zu sehen, denen wir gefolgt sind. Unsere Fehler sehen und ihnen nicht folgen, das ist sich erwecken – und das ist nicht immer leicht, wenn man in Samsara eingetaucht ist. Wir haben nicht die Präsenz des Geistes, um herauszukommen. Die Zenmeister schlagen uns ein Voranschreiten hierfür vor, den des Rings des Weges.

Wir sollen also damit beginnen, den Geist der Erweckung zu gebären, der Geist, der zur Befreiung hinstrebt. Das ist vielleicht die schwierigste Sache. Danach strebend uns zu befreien, entscheiden wir uns, die Erweckung zu praktizieren und nicht lockerzulassen. Mit gereinigtem Geist sehen wir die falschen Wege, auf denen wir uns engagiert hatten, wir verstehen unsere Fehler und wir befreien uns von diesen. Im Gegenzug engagieren wir uns darin unsere Schritte in den Fußstapfen Buddhas zu gehen und folglich über das Leiden hinauszugehen. Erlöst von den Ängsten, den Leiden, schnuppern wir an einem Zustand des inneren Friedens und der Zufriedenheit, das ist das Nirvana. Wir sind vom Samsara zum Nirvana gewechselt, oder eher wir haben das Nirvana mitten im Samsara berührt, indem wir dem Ring des Weges folgen.

Aber im Nirvana angekommen haben wir oft nicht die Zeit, diesen Zustand zu genießen, da mit einem Mal ein neues Problem auftritt, eine neue Widrigkeit. Wir verlieren das Gleichgewicht oder den Glauben und fallen in das Samsara zurück. Alles geht wieder von vorne los … Von neuem müssen wir den Geist gebären,der der Erweckung zustrebt, ihn praktizieren, verstehen usw. Der Ring des Weges ist ohne Anfang und ohne Ende.

Dieser Ring lässt sich perfekt in einer Sekunde durchlaufen, andere Male in mehreren Tagen oder auch in mehreren Jahren. Das hängt von den Schwierigkeiten der einzelnen Etappen ab, aus denen er sich zusammensetzt. Dieser Ring praktiziert sich auch über den Zeitraum eines kompletten Lebens: Vom Nicht-Geborenen kommend erscheinen wir, drehen unsere Runde auf der Welt, begegnen allen möglichen Prüfungen, um am Schluss zum Nicht-Geborenen zurückzukehren, zum definitiven Paranirvana.

Den Weg des Boddhisattvas wählen?

Den Geist der Erweckung gebären, ist das Wichtigste, aber das Schwierigste für einen Menschen. Mit dem erweckten Geist ist es, mit dem man auf dem großen Weg marschiert, ohne Angst und ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen, der Geist leicht wie das Licht, die Gedanken subtil wie der Wind … Diesen Weg zu wählen setzt voraus, dass man danach strebt erweckt zu leben, in jedem Moment von falschen Ansichten befreit, von betrüblichen Leidenschaften befreit … Diese Erweckung ist dem Menschsein nicht innewohnend, sie ist ihm auch nicht gegeben. Dem, der in den Dreck fällt und dem es gelingt, den Erweckungsgeist in sich zu wecken, dieser ist ein wahrer Bodhisattva.

Der Mensch strebt nach der unvorstellbaren Freiheit … Trotzdem kann er schlechte Entscheidungen treffen, die ihn noch stärker binden: Werde ich meinem Egoismus folgen? Oder öffne ich mein Herz dem Anderen? Ausgestattet mit reflexiven Kapazitäten, die spezifisch für die menschliche Natur sind, bin ich in der Lage zu entscheiden, was korrekt ist, das Gute zu wählen und am Ende zu verstehen, was am Besten für mich zu tun ist.

Was am Besten für mich zu tun ist, ist ein wahrhaftiger Mensch zu werden, ohne Angst, ohne Frustration … Ein Mensch, der die Fülle des Lebens schätzt, mit einem Gefühl der Dankbarkeit und der Liebe gegenüber allen Existenzen. Ich wähle ohne Zögern diesen Zustand anstelle eines Zustands in Unzufriedenheit, voll mit Wut und Hass, mit Hoffnungslosigkeit, mit Eifersucht … Dieser Glückszustand, den mir der Weg des Bodhisattvas gibt, ist ein Glückszustand, den ich immer und überall spüre, egal in welcher Situation. Er hängt nur von meinem innersten Herzen ab, befreit von jeglicher Illusion.

Es existieren sicher viele kleine Glückszustände, die unsere Begierden befriedigen, aber sie sind vergänglich. Kaum befriedigt, fehlt uns schon etwas. Wenn wir einmal das Objekt unserer Begierden erlangt haben, haben wir Angst, es zu verlieren. In einem Satz: Unseren Begierden folgen verlangt viel Energie und lässt uns oft in einem unzufriedenen Zustand zurück – der Angst, das Objekt zu verlieren und uns dem es dann fehlt. Ich wähle den Weg des Bodhisattvas, der mich das große Glück berühren lässt und die universelle Liebe leben lässt. Der mir die existenziellen Leiden erspart und der allen Existenzen das gleiche große Glück zukommen lässt.

Ich erhalte mein Leben in jedem Moment vom Universum, und meinerseits biete ich auf natürliche Art und Weise mein Leben dem Leben des Universums an: Das ist das Glück. Das Glück existiert, es ist die Folge der Praxis der Befreiung, der Öffnung des Herzens. Auch ist es nicht das Glück, das man suchen muss, sondern die Befreiung.

Das Glück folgt der Befreiung, wie der Schatten dem Wanderer folgt.

 

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